Kann man als Arzt/Ärztin Beruf und Kindern gerecht werden? Mögliche Wege…

«Hand aufs Herz: Kann man als Arzt/Ärztin Beruf und Kindern gerecht werden? Ich sehe da leider viele Beispiele, die mich enttäuschen»[1]. Kannst Du als zukünftige Ärztin oder Arzt gleichzeitig eine Familie aufbauen?

Ich erinnere mich noch gut an meine Studentenzeit und dann auch später, wenn ich Chefärzte gesehen habe, die lange im Spital waren und die Familie nicht intakt war. Da habe ich genau die gleiche Frage gestellt. Demgegenüber durfte ich aber auch Chefärzte und Leitende Ärzte kennenlernen, bei denen die Familie intakt war. Wie kann ich verhindern, dass bei mir das erstgenannte nicht geschieht?

Aus der heutigen Sicht fallen mir folgende Aspekte dazu ein:

1. Eigene Gründe spielen eine Rolle (es ist immer gut, bei dir selbst zu beginnen).

1.a. Überbelastung im Spital. Ein kürzlich erschienenes Buch[2] beschreibt die Gründe für Arbeitsüberlastung sehr treffend:

  • Die Arbeit mache Spass;
  • Ich finde meine Identität und mein Wachstum in meiner Arbeit;
  • Ich erhalte Lob und einen Gewinn (finanziell, Titel, Hierarchieaufstieg…) in der Arbeit;
  • Es werden extrem hohe Erwartungen in der Arbeit gesetzt;
  • In der Arbeit weiter vorwärts stossen wie in einer Tretmühle…

Die Arbeit bekommt einen so hohen Stellenwert, dass alles andere darum herum Gefahr läuft, in den Hintergrund zu treten. Dies kann auf die Medizin und das Studium zum Beispiel folgendes sein:

  • Intensiv lernen und begeistert sein, aber sich dann in den Details verlieren;
  • Von einem selbst veröffentlichten Paper zur anderen gehen;
  • Eine Prüfung nach der anderen bestehen (nicht das dies falsch ist, aber dies darf uns nicht zu Überheblichkeit und zur Vernachlässigung anderer Aufgaben führen);
  • Ich finde meine Identität und mein Wachstum nur in meiner Tätigkeit als Arzt;
  • Ein Kongress nach dem anderen besuchen usw.

Diese genannten Punkte sind nicht unwichtig. Wenn diese mich aber von einer Life-Balance wegführen und zum Beispiel die Familie darunter leidet, dann stimmt etwas nicht.

1.b. Sich von Ehrgeiz in Richtung Habgier bewegen[3]:

  • Wichtig ist die Frage, ehrgeizig wozu/wofür? Als Grundsatz gilt «Trachtet aber zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit…» (Matthäus 6.33); bist du ehrgeizig aus anderen Gründen (Geld, Titel, Ruhm, Hierarchie…) als dem Reich Gottes, musst du diese Bereiche vor Gott neu durchdenken.

2. Betriebliche Gründe können eine Rolle spielen[4]:

2.a. Der Arbeitsgeber (Spital, Chef usw.) fordert viel. Dies kann am Anfang ein Probleme sein, dies besonders wenn es keine Möglichkeit der Teilzeit gibt. Was kann dies für dich bedeuten:

  • Eine gute Einführung fördern (als erfahrener Assistenzarzt, als Student, der schon im Praktikum Erfahrung hat, den Neuankömmling zum Beispiel gut einführen);
  • Wenn aber Arbeit und Familie zusammen nicht möglich ist, den Ort verlassen und einen Ort finden, an dem die Familie Platz hat und zum Beispiel Teilzeit möglich ist. Solche Orte gibt es zum Glück immer mehr.

3. Wachsen in der Selbstorganisation (Effizienz, Zeitmanagement, Führung im Spital, Piepser abstellen, usw.) ist eine Prävention gegen Überlastung. Dazu gehört auch das sich abgrenzen.

4. Die Lebensphase kann eine Rolle spielen[5]:

  • Es gibt Zeiten, in dem eine Entwicklung im Spital, in meiner Weiterbildung oder eine solche zu Hause mehr Raum einnimmt. Zum Beispiel habe ich zusammen mit meiner Frau entschieden, für 1 Jahr als Wochenaufenthalter in St. Gallen zu arbeiten (Spezialisierung vorantreiben in der Kinderchirurgie) und jeweils am Wochenende wieder in Biel zu Hause zu sein. Ohne Einverständnis meiner Frau wäre dies gar nicht möglich gewesen.
  • Das Ziel muss es immer sein, dass ein Bereich, zum Beispiel meine Arbeit im Spital oder die Forschung nicht ein anderes Gebiet dominiert oder sogar zerstört.

Es gibt so verschiedene Wege, die man gehen kann. Folgende Beispiele kenne ich, bei denen ich, soweit ich dahinter blicke, gesunde Situationen gesehen habe:

  • Meine Frau und ich wollten nicht die Erziehung der Kinder wegdelegieren. Deswegen ist meine Frau nach der Geburt unseres zweiten Kindes 100% als Hausmanagerin zu Hause eingestiegen. Nach 16 Jahren ist meine Frau als Hausärztin wieder eingestiegen. Aus meiner Sicht macht sie es super. Sie ist heute meine Hausärztin. Es kann auch das Umgekehrte erfolgen, indem der Ehemann 100% Hausmanager wird.
  • Ein Ehepaar, welches ich kenne, hat aktiv entschieden, keine Kinder zu haben. Beide haben hohe Positionen (u.a. Chefarzt) in Kliniken eingenommen.
  • Ein Ehepaar (die Frau ist Ärztin) hat sich entschieden, dass jeder jeweils 50% zu den Kindern schaut.
  • Ein Ehepaar (beide sind Ärzte) hat sich entschieden, eine konstante Haushaltshilfe und zum Teil Miterzieherin aus der christlichen Gemeinde anzustellen und waren hochprozentig in verschiedenen Gebieten tätig.

Es gibt also Wege, sehr oft verschiedenartige, eine Familie aufzubauen oder diese zu berücksichtigen. Mit Gott ist nichts unmöglich. Aus meiner Sicht beginnt dies jedoch schon im Studium:

  • Nimmst Du Dir Zeit mit Gott auch während den Prüfungen?
  • Planst Du Dir Ruhezeiten ein (Sabbath, Schlaf…)?
  • Führst Du eine gesunde Beziehung mit Deiner Familie (Eltern, Partner usw.)?
  • Gehst Du in eine Christliche Gemeinschaft (Gottesdienst, Hauskreis usw.)?
  • Pflegst du Beziehung mit Freunden?

Ich glaube, dass Du den Raum, den Dir Gott geben wird, mit einer Life-Balance füllen kannst. Ich möchte christliche Ärzte und sogar zukünftige christliche Chefs sehen, die es schaffen, Arbeit und Familie zusammenzubringen, in beiden Bereichen «fruchtbar» sind und Gott dadurch verherrlichen.

Was hast Du schon erlebt diesbezüglich? Hast Du weitere Ideen, wie wir aufpassen können, dass die Life-Balance durch die Tätigkeit als Arzt nicht zerstört wird? Teile dies unten im Kommentar mit!

Du kannst auch direkt mir schreiben und wir können darüber austauschen. Siehe unter Kontakt.


[Bild 1: https://vsao.ch/arztberuf-familie/ (18.6.21); Bild 3: https://www.ragan.com/13-steps-to-stop-overworking-and-start-writing/ (18.6.21); Bild 5: http://www.die7todsuenden.info/?p=75 (18.6.21); restliche Bilder aus Kostenlose Bilder & Stock Fotos · Pexels]

[1] Slido-Eintrag als Reaktion auf den Blog https://robertstern.ch/blog/deine-fragen-sind-mir-wichtig-sag-mir-was-dir-am-herzen-liegt/.

[2] M. Hyatt, M. Hyatt-Miller; Win at work and succeed at life: 5 principles to free yourself from the cult of overwork; 2021, Grand Rapids.

[3] Siehe: Nichols J. Stephen; What is vovation?; 1970, Phillipsburg; S. 17f.

[4] Gute Hinweise können über Google (Arzt und Familie vereinbar) gefunden werden; z.Bsp.: https://vsao.ch/arztberuf-familie/, https://www.aerztezeitung.at/archiv/oeaez-2019/oeaz-5-10032019/vereinbarkeit-beruf-und-familie.html, https://www.operation-karriere.de/karriereweg/assistenzarzt/mutter-vater-arztberuf-geht-das.html (18.6.2021).

[5] Ein gutes Buch dazu: R. Guardini; Die Lebensalter_ihre ethische und pädagogische Bedeutung.

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