Wie aus einem Arzt ein Patient wird _ der besondere Weg vom Aufwachen bis zum Vertrauen in die Medizin und in Gott

Du wachst auf und 11 «Schläuche»[1] sind bei dir angehängt, 7 EKG-Kleber für den Monitor angeklebt und die Sättigungsklemme ist am Finger befestigt. Die Intensivpflegende arbeitet bei dir, begrüsst dich und stellt Fragen. Du bist abhängig von der Wahrnehmung und Erfahrung der Pflegenden, damit du so liegst oder so liegen kannst ohne Schmerzen zu haben und dann kommen noch die Ärzte…

Dies ist mir geschehen nach der Operation[2]. Wie wohltuend war es, wenn eine Pflegende Verständnis zeigte und gute und hilfreiche Tipps gab (zum Beispiel wie aufsitzen nach Sternotomie oder im Bett umgelagert werden und dann bequem liegen…).

Folgende Dinge wurden mir bewusst:

  • Kontakte sind so wichtig:
    • Gerade in der Zeit des coronabedingten Besuchsverbots ist die Pflege der erste und nächst Kontakt am Bett. Sie geben auch die ersten Tipps bei Mobilisation. Sie stellen auch die Verbindung mit den Angehörigen her (je unkomplizierter, desto besser; zum Beispiel per Video-Chat, auch wenn ich «komisch» aussah oder zum Teil einschlief, wie später von meinen Kindern lachend beschrieben 😊).
    • Die Ärzte sind die nächsten Ansprechpersonen, wenn es um den Eingriff, den aktuelle Zustand und das weitere Procedere geht. Wenn der Assistenzarzt kommt, wurde mir folgendes bewusst:
      • Er muss über die Krankengeschichte informiert sein;
      • Er muss darüber informiert sein, was die Pflege untersucht und dokumentiert hat (Blutdruck, Puls, Gewicht usw.);
      • Er muss sich ein aktuelles Bild schaffen, wie es dem Patienten jetzt gerade geht, das heisst den aktuellen Verlauf selbst beim Patienten erfragen, die aktuellen Befunde selbst erheben (Lungen- und Herzauskultation, Palpation usw.);
      • Dann erst in Rücksprache mit dem Oberarzt das weitere Procedere festlegen und dem Patienten kommunizieren.

Wenn eine Aussage des Assistenzarztes nicht meiner Wahrnehmung entsprach, war es eher peinlich.

  • Kontakte ff.
    • Physiotherapeuten spielen eine grosse Rolle. Sie geben dir wichtige Tipps zur Mobilisation. Gut ist es, wenn sie medizinisch Bescheid wissen. Mein erster Physiotherapeut erkannte, dass ich ein Vorhofflimmern[3] hatte. Die erste Auszeichnung, die ich erhielt, war, dass ich korridortauglich sei. Ich durfte nach etwa 5 Tagen selbständig auf den Korridor.
  • Kontakte ff.
    • Mitpatienten, ich hatte auf der Abteilung deren zwei, sind wichtige Austauschpartner, um sich zurechtzufinden. Es ergeben sich auch interessante Gespräche, worin auch Jesus ein Thema werden kann.
  • Kontakte ff.
    • Technische und digitale Mittel sind in der heutigen Zeit so wichtig. Wie häufig verwendete ich das Chat-Programm[4] und konnte schnell Dinge darüber kommunizieren und mit der Familie auch per Video-Chat sprechen. Dabei waren die vielen persönlichen Chats von Freunden aber auch Arbeitskollegen eine grosse Freude und nie aufdringlich. Man kann fast nicht stören!
  • Die Medikamente waren für mich eine grössere Herausforderung als ich dachte! Ich nahm im Verlauf immer mehr Medikamente ein, am Schluss waren es 9 Tabletten gleichzeitig (siehe Bild). Als Arzt war ich besonders herausgefordert, weil ich die Medikamente zum Teil kannte. Es fühlte sich für mich wie ein Abwärtsstrudel:
    • Jedes weitere Medikament führte mich in eine weitere Abhängigkeit;
    • Jedes Medikament gab mir das Gefühl, dass etwas in mir nicht in Ordnung ist;
    • Ich kannte die Funktion und fragte mich, ob ich je wieder davon wegkommen werde (Perspektive?);
    • Jedes neue Medikament gab mir das Gefühl einer Niederlage.

Folgendes musst ich im Werdegang vom Arzt zum Patienten nach der Operation lernen:

  • Ich muss Schritt für Schritt mit Gott gehen. Dies im wörtlichen Sinne mit der Physiotherapie und mit den Medikamenten, aber auch im Vertrauen zu und in der Übergabe an Gott. Zeitweise war mein Organ Herz das letzte, was ich übergeben wollte (weiteres dazu in der nächsten Folge).
  • Ich konnte auch, wenn ich «schwach» war mit Geduld, Freude und Höflichkeit allen begegnen. Mir war es im Ganzen so wichtig, der Pflege, den Ärzten und der Essensverantwortlichen mit Dank zu begegnen, denn es war ein grosser Einsatz von ihnen sichtbar. Ob ich damit etwas von der Liebe Jesu weitergab?
  • Lernen in Abhängigkeit von Gott zu leben trotz Medikamentenstrudel und körperlichen Herausforderungen. Ich musste vertrauen, dass Gott in Kontrolle ist.
  • Ich werde als Kinderchirurgen keinem Kinde nach der Operation gleich begegnen wie vor meiner Operation. Das heisst:
    • Verständnis für das Schritt für Schritt zeigen;
    • Ermutigen und darauf achten, alles zuerst wahrzunehmen (Krankengeschichte, Pflegedokumentation und eigene Wahrnehmung), bevor ich Entscheidungen für das weitere Procedere fälle. Da bin ich auch von Rückmeldungen abhängig und hoffe, dass ich immer wieder daran erinnert werde. Gott hilf mir dabei!
    • In der Abhängigkeit dem Kinde helfen und zu erklären versuchen, was die Gründe sind.

Auch dein Weg im Medizinstudium und danach in der ersten Assistentenzeit benötigt:

  • ein Schritt für Schritt mit Gott gehen,
  • die Bereitschaft trotz Schwächen im Lernstress die Liebe Jesu weiterzugeben,
  • das Zulassen der Abhängigkeit von Gott zu jeder Zeit. Vielleicht hilft dir das Obengenannte ein wenig, den Patienten besser zu verstehen. Mir half dies, obwohl ich keinem wünsche, diesen Weg so gehen zu müssen.

Mich würden deine Gedanken zum Obengenannten interessieren. Was hast du für positive oder negative Erlebnisse als Christ im Medizinstudium erlebt. Was könnte dir die Patientensicht wie oben beschrieben bringen? Schreib dies unten im Kommentar. Großartig wäre es, wenn auch ein Austausch in den Kommentaren entstehen würde! Du kannst mir auch deine Gedanken per E-Mail mitteilen, gerne antworte ich darauf.


[1] 2 Peritonealschläuche, 1 Perikardschlauch, 1 Arterienkatheter, 1 Zentraler Katheter, 2 Venenkatheter, 1 Blasenkatheter, 1 Sauerstoffkatheter Nase, 2 Herzschrittmacherkabel. Eingangsbild entnommen aus dem https://www.tctmd.com/news/cardiac-intensive-care-units-face-ever-more-complex-patient-population [08.11.2023].

[2] Der ersten Teil siehe: https://robertstern.ch/blog/wie-aus-einem-arzt-ein-patient-wird-_-der-besondere-weg-von-der-operationsindikation-zur-operation/.

[3] Tritt in 40% der Fälle bei Bypass-Operationen auf.

[4] Whatsapp

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