«Wie geht man mit Fehlern in der Medizin um? Darf man als Arzt noch Mensch sein?»[1] Hast Du Dir dies schon mal in den Praktika gefragt, insbesondere wenn Du siehst, wie dort auf Fehler reagiert wird? Wie gehst Du vor, wenn du einmal ein Fehler machst oder etwas vergisst?
Ich selbst hatte einmal eine solche Situation, welche man sich nicht wünscht. In einer Operation habe ich vermeintlich eine Struktur präpariert, und dann eine vermeintlich problemlose Struktur durchtrennt. Im Weiteren habe ich erkannt, dass ich eine wichtige Struktur durchtrennt habe. Wie vorgehen?
Jedes Spital und jede Praxis[2] hat seine Vorgehensweisen bei Fehler und bei der Patientensicherheit. Aus meiner Sicht ist bei einem Fehler grundsätzlich folgendermassen vorzugehen:

- Den nächsten erfahrenen Vorgesetzten rufen.
- Mit dem Vorgesetzten die bestmögliche Korrektur beim Patienten erreichen.
- Offene Information an den Chef.
- Die Situation Gott hinlegen.
- Offene und schnelle Kommunikation an Patienten, Angehörige oder Eltern.
- Dem Patient, Angehörigen oder Eltern eine Nachverfolgung oder Kontrolle vorschlagen.
- Offene Mitteilung im nächsten Rapport an Alle.
- Meldung Haftpflicht.
In der obengenannten Situation half mir der Co-Chefarzt und nähte mit der Lupenbrille die Struktur. Er wies auf Dinge hin, die für ihn eine Erklärung waren für den Fehler. Nach der Information des anderen Co-Chefarztes teilte ich es offen und direkt den Eltern mit – die Operation fand bei einem Kind statt – und sagte ihnen, dass mir dies sehr leidtue. Sie haben es erstaunlich ruhig aufgenommen. Kurze Zeit später wurde ein Kontrolltermin vereinbart. Anlässlich dieser Kontrolle war ein grosses Vertrauen der Eltern da, was mich sehr berührt hat. Wo genau ich die Situation Gott hingelegt habe, erinnere ich mich nicht mehr. Im Rückblick erscheint es mir wichtig, dies gerade vor dem Gespräch mit den Angehörigen zu tun, da es Weisheit braucht, die Situation offen und ehrlich in den richtigen Worten zu fassen.
Am Abendrapport habe ich den Fehler offen kommuniziert. Dies war mir wichtig, um Spekulationen vorzubeugen und transparent zu sein. Der Co-Chefarzt, der an der Operation dabei war, hat danach kurz wohlwollend kommentiert, was ich selten so erlebt habe.
Natürlich musste ich in den nächsten Tagen diese Situation verdauen, die Situation mit meiner Frau durchgehen und mehrmals dies Gott hinlegen. Es hat mich dann sehr gefreut, dass ich 1 bis 2 Wochen später die gleiche Operation wieder machen durfte.
Aus meiner Sicht darfst und sollst Du als Arzt und auch schon als Medizinstudent Mensch sein, d.h. sich selbst sein, nichts vorgeben, authentisch und offen wirken. Dazu ein paar Gedanken:

- Vor Gott kannst Du nichts verbergen, er sieht alles. Dies auch, wenn Du alleine im Raum bist und entweder etwas nicht Richtiges tust oder sagst!

- Wir sind nicht Gott oder Götter in Weiss; nur Gott ist unfehlbar und unendlich und sieht alles voraus. Du kannst als Mensch vor Gott Fehler machen. Natürlich willst Du dies nicht und es wäre weise, entsprechende Sicherheiten aufzubauen. Ideen dafür sind:
- CIRS-Meldung[3], damit im «System» Spital oder Praxis eine Besserung entsteht, um weitere Fehler zu vermeiden;
- Bei jeder neuen Tätigkeit klein oder gross (Venenpunktion, Venflonlegen, Blasenkatheter legen, Operation durchführen):
- Sich vorbereiten, nachlesen, einen Erfahrenen um Rat bitten;
- Wenn nötig um Hilfe / Assistenz bei der Tätigkeit bitten;
- Sofort danach aufschreiben, wie die Schritte waren und worauf Du schauen musst;
- bald danach Gespräch mit einem Erfahrenen suchen, um Tipps und Tricks zu erhalten (dies dann auch niederschreiben);
- Ideen ff:
- Vorhandene Checklisten gebrauchen oder selbst eines erstellen; dies ist mehr und mehr im Notfall eingeführt worden (ATLS, ACLS, PALS, PHTLS)[4]. Im Flugbetrieb sind Checklisten schon lange die Normalität;
- Situationen offen entweder im Rapport oder an der Visite besprechen (Austausch).
- Vor anderen Menschen hast Du nichts zu verbergen. Natürlich braucht es Weisheit, wem ich was sage. Sehr oft jedoch beim Offenlegen kannst Du erkennen, dass Du nicht allein bist und bei andern das gleiche auch schon geschehen sein könnte. So habe ich später einmal gehört, dass der genau gleiche Fehler auch einmal einem sehr erfahrenen Arzt passiert sei; irgendwie stand ich nicht mehr so einsam mit diesem Fehler da!

- Gerade in der Ausbildung muss ein gewisses Mass an Fehler möglich sein; natürlich, je «gefährlicher» desto weniger. So kann auch einmal ein Eingriff nach einem Knochentrauma (zum Beispiel in der Nacht oder durch einen Unerfahrenen) zu einem Zweiteingriff führen, worin, man das Resultat verbessert; dies natürlich mit dem, der den Ersteingriff machte (auch wenn diese Person frei hat).
- Du musst sehr aufpassen, dass Du nicht jemand hinter seinem Rücken beschuldigst oder über ihn und seine Fehler sprichst («Was aber siehst du den Splitter, der in deines Bruders Auge ist, den Balken aber in deinem Auge nimmst du nicht wahr?» [Matthäus 7.3, Lukas 6.42]).

- Du willst ja keine Fehler machen, kannst dies aber nicht 100% ausschliessen;

- Am besten ist es natürlich, wenn der Chef einen Raum für mögliche Fehler gibt, so dass offen darüber gesprochen werden kann. Dies geschieht, wenn ein Chef zuhören kann und zu eigenen Fehlern stehen kann oder auch sogar über eigene vergangene spricht (Vorbild-Funktion). Wenn kein Raum da ist, läuft man Gefahr, dass die Fehler versteckt werden.
Grundsätzlich hat jeder Arzt in seinem Arztleben einen Fehler gemacht. Wenn jemand dies verneint, werde ich meist misstrauisch.
Ein anderes Thema ist die Situation, dass Du entweder vergessen hast etwas zu machen oder etwas zu fragen. Was machst du, wenn du vor dem Assistenzarzt, Oberarzt oder Chef stehst und du hast vergessen, etwas zu tun oder in der Anamnese zu fragen:

- Stehe ehrlich dazu.
- Auch beim zweiten Mal stehe ehrlich dazu (natürlich sollte es einmal nicht mehr vorkommen [siehe dazu oben «bei jeder neuen Tätigkeit»];
- Ich als Oberarzt werde sofort misstrauisch, wenn ich etwas beim Assistenzarzt frage, er eine Antwort gibt und ich indirekt merke, dass er dies nicht gefragt hat; ich selbst musste lernen, beim Vorgesetzten ehrlich zu solchen kleinen Fehlern zu stehen, auch wenn es dumme Fehler sind.
Zusammengefasst brauchen wir alle immer wieder Gnade. Wenn schon Gott mir durch seinen Sohn Jesus, der am Kreuz für alle Fehler gestorben und nach 3 Tagen wieder auferstanden ist, mir meine Fehler vergibt, dann muss ich mir selbst wie auch andern gegenüber gnädig sein. Gott vergibt 100%.

Du darfst also 100% Mensch sein und Fehler machen, aber auch an diesen lernen und wachsen! Bleibe authentisch, so dass andere in Dir eine integre Person sehen!
Schreibe unten im Kommentar, wenn Du Situationen erlebt hast, ob positiv oder negativ, in denen Fehler vorkamen oder Dinge vergessen wurden und wie damit umgegangen wurde.
[1] Slido-Eintrag als Reaktion auf den Blog https://robertstern.ch/blog/deine-fragen-sind-mir-wichtig-sag-mir-was-dir-am-herzen-liegt/. Eingangsbild stammt aus Folgen für Ärzte nach Behandlungsfehlern (thieme.de)
[2] Ein interessanter Artikel dazu: https://medicalforum.ch/de/detail/doi/smf.2018.03234 (3.7.21) oder https://www.dropbox.com/s/nmf6f63ez4fv1ro/smf_2018_03234.pdf?dl=0.
[3] Als Critical Incident Reporting System, kurz CIRS, bezeichnet man Berichterstattungssysteme zur anonymen Meldung von kritischen Ereignissen (critical incident) oder auch Beinahe-Fehlern (near miss). Solche Berichtssysteme findet man vorwiegend im Gesundheitswesen (z.B. Rettungswesen). (entnommen aus https://flexikon.doccheck.com/de/CIRS [1.7.2021]).
[4] Siehe auch https://www.atls.ch/index.php?id=3, https://www.sgnor.ch/kurse/?no_cache=1 und https://phtls.naemt.ch/ (1.7.2021).